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Geschichte kommt zurück

Sonntag, 04. Mai 2025, 10:37 Uhr
Einem glücklichen Umstand ist es zu verdanken, dass der Historiker Prof. Dr. Peter Arlt aus Erfurt im Nachlass des Gothaer Malers und Grafikers Otto Kayser ( 1915- 1998) Bilder gefunden hat, die er dem Schlepperwerk Nordhausen zuordnen konnte. Seine Frage: was wurde aus den Bildern, die Kayser mit seinem Kollegen Gottfried Schüler aus Weimar für das ehemalige Schlepperwerk gemalt hat. Es fanden sich Fotos und Malvorlagen in den Unterlagen aber keine Hinweise über den Verblieb der Bilder.
Aus den viele Gesprächen, die ich zu den Bildern geführt habe, zeigt sich schnell die Erkenntnis, dass sie offensichtlich keinen so großen Eindruck hinterlassen haben wie das zu erwarten war. Nur wenige Zeitzeugen konnten sich erinnern und Bilder sind nicht zu finden.
Wie viele Städte fällt Nordhausen am Ende des 2ten Weltkrieges den Bomben zum Opfer, über 8000 Menschen verlieren ihr Leben, die Stadt und ihre Industrie sind ein Trümmerhaufen. Das Werk am Westrand der Stadt blieb unzerstört. Bis zum Krieg wurden Lokomotiven und zuletzt Traktoren gebaut. Die letzte Stammbelegschaft, 500 Mitarbeiter und 1300 Fremdarbeiter hatten von 1943 bis 1945 Panzermotoren für Hitlers Krieg produziert. Ein wichtiger Rüstungsbetrieb, wie so viele andere in der Region. Mit der Eingliederung der Südharzregion in die sowjetische Besatzungszone (SBZ) wird der noch funktionstüchtige Betrieb unter Sequester gestellt und durch die sowjetische Administration (SMA) Mitte 1946 beschlagnahmt. Das Werk wird Teil des sowjetischen Geheimprojektes „Institut Nordhausen“ zur Rekonstruktion der Raketenproduktion aus dem nahen Kohnstein.
Ende 1947 wird der Betrieb demontiert, gesprengt und an die Stadt Nordhausen und 1949 an die IFA Vereinigung Volkseigener Betriebe übergeben. Aus der Aktiengesellschaft wird ein Volkseigener Betrieb. Zwischenzeitlich hatte man schon in eigener Initiative begonnen, den zerstörten Betrieb mit dem Ziel aufzubauen, wieder Traktoren für die Landwirtschaft zu bauen.
Es gab in der SBZ zunächst keine Betriebe, die Traktoren bauten. Lediglich in Nordhausen gab es die Maschinen und Bahnbedarf AG (MBA) und die Nordhäuser Maschinen AG (NORMAG), welche über die entsprechenden Fähigkeiten verfügten. Das hatte auch die SMA erkannt und beförderte den Schlepperbau in Nordhausen und bei August Horch in Zwickau. So kam es, dass 1949 wieder Schlepper gebaut werden konnten, in Nordhausen die „Brockenhexe“ und in Zwickau der „Pionier“.
Die Versorgung der Menschen brauchte nach dem Krieg eine funktionierende Landwirtschaft und der fehlten nicht nur die Menschen, sondern auch Landmaschinen. Mit der Enteignung der großen Betriebe und der Bodenreform bildeten sich viel kleine Bertriebe, was die Situation noch verschärfte. Die Bauern verlangten nach neuer Technik und Ersatzteilen für ihre alten Traktoren. In Nordhausen fehlte jedoch alles, was man für einen funktionieren Betrieb brauchte, Maschinen, Gebäude, Menschen.
1954 Kulturhaus nach Fertigstellung.jpg (Foto: IFA-Museum) 1954 Kulturhaus nach Fertigstellung.jpg (Foto: IFA-Museum)

Architekten zeichneten im November 1949 einen völlig neuen Betrieb auf ihren Reisbrettern. Große lang gesteckte Produktionshallen mit vielen Fenstern und den Materialien der Zeit, Holz, Backsteine, Dachpappe und Glas. Ein Teil der Steine stammte vermutlich aus den Ruinen des alten Betriebes. Klare Linien und Grundrisse bestimmten das Bild eines neuen Betriebs. Neben den Produktionshallen entstand in einem dritten Bauabschnitt das „Belegschaftsheim“ so der ursprüngliche Name. Leider gibt es keine Daten der endgültigen Fertigstellung. Auf der Südseite waren drei Felder geschlossenes Mauerwerk und drei Felder Fenster bis unter die Decke. Einige Fotos vom Bau und eine Chronik von 1954 haben überdauert, sie zeigen im Innenraum drei große Wandbilder. Wer die Bilder in Auftrag gegeben und die Künstler beauftragt hat ist unklar, aber sicher die Betriebsleitung unter Federführung der SED, Kultur am Bau gehörte zur Aufgabe. Je länger man sie betrachtet, umso mehr stellt sich die Frage, waren sie als Mittel der Propaganda gedacht oder sollten sie nur die Wände schmücken? Das schmälert nicht ihren künstlerischen und historischen Wert, aber sie dokumentieren eindrucksvoll die neue Zeit der gesellschaftlichen Neuorientierung. Ähnliche Bilder finden sich noch heute an den Fassaden der ersten Neubauten in der Stadt. 1953 war das Jahr der Unruhen in der DDR, die in den Streiks des 17. Juni und deren Niederschlagung ihren Höhepunkt fanden. Das Schlepperwerk war eines der Zentren dieser Bewegung im Südharz.
Das Kulturhaus war nach seiner Fertigstellung Ort vieler Veranstaltungen im Werk. Es bedeutete sicher eine Kraftanstrengung, mit einfachsten Mitteln ohne Krahn und Metallgerüsten neben der Beschaffung neuer Produktionsmittel auch ein Haus für die Kultur zu errichten. Eine umfangreiche Bühnenausstattung mit Räumen für die Künstler und Organisatoren ermöglichte eine vielfältige Nutzung.
Irgendwann zwischen 1964 und 1968 wurde der große Saal für die Essenversorgung umgebaut. Ein Küchentrakt wurde angebaut, Fenster verschlossen und Ausgabeöffnungen für das Essen eingebracht. Ein 2,5 m hoher Fliesenspiegel verdeckte jetzt den unteren Teil der Bilder. Kunst am Bau war da nur hinderlich. Man erkennt die Veränderungen an verschiedenen Fotos, die sich im Archiv gefunden haben. Nach der Wende erfolgten weitere Umbauten sehr zum Nachteil der ursprünglichen Gestaltungsidee. In der Zeit der Dieselmotoren waren im Stammwerk ca. 3800 Menschen beschäftigt, sie brauchten Frühstück, Mittag, Schichtessen und natürlich auch Kultur. Bei den Kulturveranstaltungen konzentrierte man sich auf die Losungen und die Protagonisten auf der Bühne. Zumindest die Fotografen hatten keinen Blick für die Bilder an den Wänden.
Stahlgieser (Foto: Archiv Otto Kayser ) Stahlgieser (Foto: Archiv Otto Kayser ) Nun zu den Bildern, sie hatten eine Größe von 5 x 6 Metern und sind farbig direkt auf den Wandputz aufgetragen. Der Maler hat zunächst eine Strichzeichnung und Farbvorlage angefertigt.
Das linke Bild ist die übliche Darstellung vom Stahlgießer und den Schmieden, die den Stahl zu Halbzeugen formen. Sie standen Anfang der 50iger im Mittelpunkt der staatlichen Bemühungen. Die DDR, abgeschnitten von den Zentren der Stahlproduktion in Deutschland, hatte mit dem Mangel in allen Betrieben des Fahrzeugbaus zu kämpfen. Interessant ist, dass Kayser eine Frau im Kittel in den Mittelpunkt des Bildes stellt. Sie leitet die Männer an?
Schleppermontage (Foto: Archiv Otto Kayser) Schleppermontage (Foto: Archiv Otto Kayser) Das rechte Bild zeigt die Montage von Traktoren im damaligen Schlepperwerk. Dem Traktor auf dem Montageband fehlt noch das linke Rad, ev. gab es da noch ein Problem und der Mechaniker muss sich mit seinem „Chef“ abstimmen. Bemerkenswert wie genau die Maler das beobachtet haben, sogar die Laufrichtung des Reifenprofils ist richtig gezeichnet, das wissen selbst heute nur die Spezialisten. Ganz rechts steht vermutlich J. Kellner mit lagen Ing. Mantel und „Knickerbocker“ Hose. Er gehörte zu den Gründern und könnte Vorbild für den Maler gewesen sein.
Die Produktion des „Pionier“ war 1950 vom August Horch Werk aus Zwickau nach Nordhausen verlagert worden. Von 1950 bis 1956 haben über 20.000 Stück die Werkshallen in der damaligen Kasseler Landstraße verlassen. Dieser Traktor, übrigens eine Vorkriegsentwicklung aus dem FAMO-Werk in Breslau, war in dieser Zeit die materielle Basis für den Aufbau der Maschinen- Ausleihstationen. Man hat ihn auch als Reparationsleistung in die Sowjetunion geliefert. Welcher Irrsinn, erst machen die Sieger das Werk dem Erdboden gleich, um gleichzeitig festzustellen, dass die Menschen ohne eine leistungsfähige Landwirtschaft nicht überleben können. Interessant ist auch hier der Versuch die Zusammenarbeit von Arbeiterklasse und Intelligenz in einen gemeinschaftlichen Diskurs zu stellen in einer Zeit, in der es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den Werktätigen und ihren Betriebsleitungen kam. Der 17.Juni 1953 war ja nicht der Anfang, sondern der Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen. Was immer oft übersehen wird, es brodelte auch in den Dörfern. Hier waren es vor allem die alteingesessenen Bauern, die sich zusammenschlossen gegen die neue Administration. Da wurden schon mal Bürgermeister oder Parteikader in die Jauchengrube geworfen. Also entstanden die Bilder in einer unruhigen Zeit.
Landarbeit  (Foto: Archiv Otto Kayser) Landarbeit (Foto: Archiv Otto Kayser) Am interessantesten ist das mittlere Bild. Am unteren Rand sitzen Frauen bei einer Pause nach schwerer Arbeit, eine hält noch eine Getreidegarbe, die anderen beiden bereiten das Essen vor. So war die Situation in vielen vor allem kleinen Betrieben. Aus dem oberen Bildrand kommen nun ein Traktorist und eine Frau in Hosen und offenem Haar, sie zeigen mit der Hand auf die neue Technik, die ihn die schwere Arbeit abnehmen soll. Er der Traktorist, sie die Bedienung auf dem Mähbinder, die Brille zum Schutz vor Staub in der Hand. Vieleicht soll auch verdeutlicht werden, dass die Arbeiterklasse ihnen die neue Zeit bringt. Die Traktoristen waren in der Regel nicht Bauern, sondern Landarbeiter.
Damit schließt sich der Kreis, die Schwerindustrie liefert das Material für den Bau neuer Landtechnik, beide Arbeiter und Bauern verbindet das Ziel das Leben der Menschen zu verbessern.
Es ist erstaunlich, wie genau und zugleich unpatriotisch der Künstler die damalige Zeit widerspiegelt, eine Zeit, die in Industrie und Landwirtschaft von Aufbruchstimmung und gleichzeitig großer Unzufriedenheit geprägt war.
Den gesamten Nachlass von Otto Kayser hat die Familie der Stadt Gotha überlassen. In einem umfangreichen Buch hat Prof. Arlt nun das Gesamtwerk des Künstlers beleuchtet. Die vorhandenen Fotos und Malvorlagen bildeten die Grundlage zur Rekonstruktion der drei Bilder für die Ausstellung im IFA-Museum. Eine der wenigen originalen Malvorlagen hat die Stadt Gotha freundlicherweise der Stadt Nordhausen aus Dauerleihgabe überlassen.
Zum internationalen Museumstag am 18.05.2025 werden sie erstmals öffentlich zu sehen sein.
Wandbilder mit KI nachträglich koloriert (Foto: © R. Baumgarten) Wandbilder mit KI nachträglich koloriert (Foto: © R. Baumgarten)


Hans-Georg Franke
im Mai 2025
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